Seegraswiesen zählen zu den produktivsten Lebensräumen des Meeres. Sie filtern Schmutz, Krankheitserreger und Sedimente aus dem Wasser, speichern Kohlenstoff und bieten Tausenden Tier- und Algenarten rund um den Globus ein Zuhause. Dennoch schrumpfen sie in vielen Regionen der Welt. Lässt sich diese Entwicklung stoppen? Eine kurze Einführung
Seegraswiesen gehören zu den wertvollsten und produktivsten Lebensräumen des Meeres. Sie schützen die Küsten, indem sie Wellen ausbremsen und den sandigen Untergrund mit ihren Wurzeln festhalten. Sie bieten Abertausenden Jungfischen, Muscheln, Krebsen und anderen Tieren Schutz und Nahrung und stärken auf diese Weise die Artenvielfalt des Meeres. Entsprechend tragen sie dazu bei, dass Millionen Menschen rund um den Globus genügend Fisch und Meeresfrüchte zu essen haben.
Seegraswiesen und möglicherweise ihr zugehöriges Mikrobiom reinigen zudem das Meerwasser von Dreck und Krankheitserregern und nehmen große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid auf. Dessen Kohlenstoffanteil speichern sie vor allem in ihren Wurzeln und leisten somit einen elementaren Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung. Angesichts der zunehmenden Klima- und Artenkrise unseres Planeten, werden gesunde Seegraswiesen daher mit jedem Tag wichtiger. Doch welche Gewächse bilden die beeindruckenden Unterwasser-Wiesen eigentlich?
Seegräser werden oft mit Großalgen verwechselt. Im Gegensatz zu Zuckertang (Laminaria saccharina) und anderen Braun- und Rotalgen sind Seegräser mit ihren langen, grasähnlichen Blatthalmen echte Pflanzen und verwandt mit Landbewohnern wie Wiesengräser, Palmen und Schwertlilien. Wie diese bilden Seegräser Blüten, Samen sowie ein dichtes Wurzelwerk aus, mit dem sie sich fest im Meeresboden verankern und über welches sie Nährstoffe und Wasser aus dem Untergrund aufnehmen. Außerdem nutzen Seegräser wie Bäume, Blumen und Sträucher das Sonnenlicht, um Photosynthese zu betreiben und Energie zu gewinnen, indem sie Kohlendioxid und Wasser in Zucker und Sauerstoff umwandeln. Ausreichend Tageslicht ist für Seegräser deshalb ein ebenso entscheidender Standortfaktor wie für lichthungrige Landpflanzen.
Einen Unterschied zwischen Seegräsern und ihren Verwandten an Land aber gibt es doch: Seegräser besitzen keine Blattporen, die sie öffnen und schließen können, um auf diese Weise den Wasser- und Gasaustausch über die Blattoberfläche zu regulieren. Stattdessen sind ihre Blatthalme mit einer dünnen Membran überzogen, welche es Gasen und Nährstoffen erlaubt, direkt aus dem Meerwasser in die Blatthalme und wieder zurückzuwandern.
Strandspaziergänger können angespülte Seegräser übrigens leicht am Geruch von den meisten Algen unterscheiden:
Seegräser stinken nicht, wenn sie am Ufer von Mikroorganismen zersetzt werden; viele Algen dagegen sehr, vermutlich weil sie schwefelhaltige Bestandteile enthalten, die bei der Zersetzung in unangenehm riechende Gase umgewandelt werden.
Weil Seegräser Photosynthese betreiben müssen, benötigen sie ausreichend Tageslicht, Kohlendioxid und Nährstoffe, um zu wachsen und dichte, gesunde Unterwasser-Wiesen zu bilden. Tageslicht, welches bekanntermaßen von oben in das Meer fällt, wird jedoch mit zunehmender Wassertiefe weniger. Ist das Meer zudem noch eingetrübt, weil viele Algen oder aber Sedimentpartikel in der Wassersäule treiben, wirken diese wie ein Sonnenschirm und lassen noch weniger Licht in die Tiefe. Seegräser wachsen aus diesen beiden Gründen nur in flachen Küstenbereichen mit möglichst klarem Meer- oder Brackwasser – meist in Lagunen, ruhigen Meeresbuchten oder aber auch in Flussmündungsgebieten rund um den Globus.
Das Echte oder Gewöhnliche Seegras (Zostera marina) beispielsweise braucht zum Überleben mindestens 15 Prozent des Sonnenlichtes, welches auf die Meeresoberfläche fällt. Dringt mehr der einfallenden Sonnenstrahlung bis zum Meeresboden, befeuert es das Wachstum der Pflanzen. In der schwedischen Ostsee beispielsweise dokumentierten Forschende ein starkes Seegraswachstum ab einer Lichtmenge von 18 Prozent. An den flachsten und damit meist auch lichtreichsten Seegras-Standorten der Ostsee zählten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bis zu 2000 Pflanzen pro Quadratmeter Meeresboden.
Seegraswiesen bedecken nur 0,1 Prozent des weltweiten Meeresbodens, kommen aber in 159 Ländern und auf sechs Kontinenten vor. Damit gehören sie zu den am weitesten verteilten Ökosystemen der Welt. Ihre Gesamtfläche beläuft sich auf mehr als 317.000 Quadratkilometer und entspricht damit fast der Größe Deutschlands. Manche der Unterwasserwiesen sind so groß, dass Astronauten sie mithilfe eines langen Kameraobjektives aus dem Weltall fotografieren konnten (Foto).
In der Ostsee wie auch an anderen Küsten der Welt findet man Seegraswiesen überwiegend in einer Wassertiefe von ein bis drei Metern. Tiefer liegende Standorte sind aber durchaus möglich. Das Karibische Seegras (Halophila decipiens) beispielsweise wurde schon in einer Wassertiefe von bis zu 58 Metern gefunden.
Weltweit gibt es vermutlich 65 verschiedene Seegras-Arten. Die genaue Zahl ist unter Wissenschaftlern umstritten. Die einzelnen Arten unterscheiden sich in Form, Größe und Verbreitungsgebiet. Während in der Ostsee mit dem Echten Seegras (Zostera marina) nur eine und in der Nordsee nur zwei Arten gezählt werden, wachsen in den tropischen Gewässern des Indischen und Pazifischen Ozeans vielerorts bis zu 14 verschiedene Seegras-Arten zusammen. Vergeblich sucht man sie in der Antarktis. In einigen Randbereichen des Arktischen Ozeans dagegen kommen Seegräser vor. Sie gedeihen zum Beispiel an der Nord- und Westküste Islands, an der Westküste Alaskas sowie an der Nordküste Norwegens.
Länder
mit Seegrasvorkommen sind in Grau, Standorte mit Seegrasvorkommen sind in Grün
und das Artenreichtum ist in Rot abgebildet.
Zusätzlich sind die verschiedenen
Bioregionen zu sehen.
© Levi Westerveld / GRID-Arendal (2019), Projektion: Goode Homolosine
Seegraswiesen wachsen sowohl in die Höhe als auch in die Breite. Ihre Blatthalme strecken sich dem Sonnenlicht entgegen; ihre Wurzeln breiten sich in die Tiefe aus. Zudem sind die einzelnen Pflanzen unterirdisch durch wurzelähnliche, horizontal verlaufende Sprossachsen miteinander verbunden. Diese sogenannten Rhizome breiten sich im Meeresboden seitlich aus und erobern auf diese Weise neuen Lebensraum. Als sichtbares Resultat wachsen dann außerhalb der eigentlichen Seegraswiese neue Gras-Sprösslinge aus dem Boden. Fachleute nennen diese Form der Ausbreitung asexuelle Fortpflanzung.
Seegräser pflanzen sich aber auch sexuell, das heißt durch die Ausbildung von Blüten und Samen, fort. Die Bestäubung übernimmt das Meer. Seine Strömungen tragen den Pollen der männlichen Blüten zu den weiblichen Blüten, so dass Ei- und Samenzelle miteinander verschmelzen können. Das Echte Seegras (Zostera marina) blüht in der Ostsee gegen Ende Mai, Anfang Juni. Vier bis fünf Wochen später entlässt es seine im Durchmesser drei bis vier Millimeter großen Samen in die Wassersäule.
Die Samen vieler Seegräser sinken nicht sofort zu Boden, sondern treiben in der Wassersäule und werden von der Strömung bis zu mehrere Kilometer weit mitgerissen. Irgendwann setzen sie sich dann am Meeresgrund ab und beginnen zu keimen, sofern die Lebensbedingungen am neuen Standort stimmen.
Im zurückliegenden Jahrhundert hat die Erde mindestens 30 Prozent ihrer Seegraswiesen verloren, wobei von den 65 bekannten Seegras-Arten 22 akut vom Rückgang betroffen sind. Allein in Europa nahm die Gesamtfläche der Seegraswiesen im Zeitraum von 1869 bis 2016 um fast 35700 Hektar ab. Dieser Verlust entspricht in etwa einem Gebiet halb so groß wie Hamburg. Seitdem erholen sich aber einige der europäischen Unterwasser-Wiesen auch wieder. Global betrachtet, schrumpfen die Seegras-Bestände derzeit um 7 Prozent pro Jahr.
Gründe für das Sterben der Seegräser waren und sind in erster Linie ein Übermaß an Nährstoffen, die weitverbreitete Bebauung und zunehmende Nutzung der Küstengebiete durch den Menschen sowie Temperaturrückkopplungen durch den Klimawandel.
Seegraswiesen leiden in erster Linie unter dem global zunehmenden Eintrag von Nährstoffen in die Küstengewässer. Wann immer der Regen Düngemittel von den Feldern in die Flüsse wäscht und diese ihre nährstoffreiche Fracht zusammen mit ungeklärten Abwässern, Müll und anderem Abfall aus Städten und Fabriken in das Meer tragen, entstehen in der Regel großflächige Algenblüten in den Küstengewässern. Diese Algenteppiche stellen eine unmittelbare Gefahr für Seegräser dar, denn sie rauben den Pflanzen am Meeresboden das Licht und somit ihre einzige Energiequelle. Infolgedessen verkümmern die Gräser und überleben nur noch in jenen flachen Bereichen, in denen genügend Sonnenlicht bis zum Meeresboden vordringt. Wuchs das Echte Seegras (Zostera marina) früher in der Ostsee bis in zwölf Meter Wassertiefe, sind es aufgrund der Nährstoffbelastung des Wassers heute nur noch maximal sechs bis acht Meter.
Eine Überdüngung der Küstengewässer und das daraus resultierende Algenwachstum erklären zum Beispiel auch, warum in den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 mehr als 760 Manatis (Trichechus manatus latirostris) in den Lagunen des US-Bundesstaates Floridas verhungert sind. Die Seekühe hatten in dem trüben Lagunen-Wasser nicht mehr ausreichend Nahrung gefunden, weil die Seegraswiesen aufgrund der Wassertrübung eingegangen waren.
Mittlerweile leben weit mehr als eine Milliarde Menschen in unmittelbarer Nähe zu Seegraswiesen; das heißt in einem Umkreis von weniger als 100 Kilometern. Diese Verstädterung der Küstenzonen hat ihren Preis, denn überall dort, wo plötzlich Deiche, Gewerbegebiete, Wohnhäuser, Straßen, Häfen oder aber Aquakultur-Anlagen am oder im Küstenmeer errichtet werden, verändert sich dessen Gesamtgefüge und mit ihm die Wasserqualität und Standorteigenschaften – vielerorts in einem solchen Ausmaß, dass die Seegraswiesen absterben. Ebenso zerstörerische Auswirkungen auf die Seegraswiesen haben ein intensiver Bootsverkehr sowie eine intensive Fischerei. Die Bootsanker und Schleppnetze reißen die zarten Seegräser aus dem Meeresboden und hinterlassen oftmals nicht mehr als nackten, sandigen Untergrund.
Bislang gelten nur für 26 Prozent aller bekannten Seegraswiesen besondere Schutzstandards, weil sie innerhalb klar definierter Meeresschutzgebiete liegen. Bei Korallenriffen und Mangrovenwäldern, die ähnlich wichtige Funktionen für Mensch und Meer erfüllen, sind es 40 beziehungsweise 43 Prozent. Aus diesem Grund werden Seegraswiesen auch als „vom Menschen vergessener Lebensraum“ bezeichnet.
Zu sehen sind die Gefahren Temperaturanstieg, Veränderung der Niederschläge, Extremwetter Ereignisse, Landwirtschaftlicher Abfluss, Bootsfahrt städtische Infrastruktur, Industrieabfluss, Entsalzungsanlagen, der Anstieg des Meeresspiegels, Fischernetze, Aquakultur, Schiffsunfälle, das Abernten von Meerespflanzen, invasive Spezies, Versäuerung der Meere und Ausbaggern . Zusätzlich ist abgebildet, ob die Gefahren die Nachhaltigkeit des Habitats (Haus), die Wasserqualität (Wassertropfen) oder die Fortpflanzung (Kreislauf) betreffen.
Cartographer:
Hisham Ashkar / GRID-Arendal (2020), Source: https://www.grida.no/resources/13583
Meeresbiologinnen und Meeresbiologen vergleichen den Verlust der Seegräser häufig mit dem Verlust von Bäumen in einem Wald. Es gehen nämlich nicht nur die Pflanzen selbst verloren, sondern mit ihnen alle überlebenswichtigen Funktionen und Leistungen, die der Lebensraum Seegraswiese für die Lebensgemeinschaften des Meeres und der Küstenregion sowie für den Menschen erbringt.
Aus diesem Grund muss ihr Rückgang nicht nur gestoppt, sondern idealerweise sogar umgekehrt werden. Voraussetzung dafür ist zuallererst, dass die maßgeblichen lokalen Stressfaktoren wie Überdüngung, Küstenbebauung und Fischerei reduziert werden. Gelingt dieser schwierige erste Schritt, haben nicht nur die verbliebenen Seegräser die Chance, sich zu erholen und im Laufe der Jahrzehnte zu gewohnter Wiesengröße heranzuwachsen. Es kann ab diesem Zeitpunkt auch über eine gezielte Wiederherstellung der Unterwasserwiesen nachgedacht werden.
Versuche, Seegraswiesen an alten Standorten neu anzupflanzen, gab es in der Vergangenheit bereits viele. Erste Projekte wurden bereits in den 1950er und -60er Jahren durchgeführt, weckten aber noch nicht besonders großes Interesse. Als sich wenig später der Rückgang der Seegraswiesen weltweit beschleunigte, fragten sich immer mehr Forschende und Meeresschützende, mit welchen Maßnahmen der Mensch den Seegraswiesen zu neuem Wachstum verhelfen könnte.
Die Zahl der neuen Restaurationsprojekte stieg, wobei mehr als zwei Drittel von ihnen in gemäßigten und subtropischen Meeresregionen stattfanden. Die Hälfte aller Vorhaben konzentrierten sich auf die Neuanpflanzung des Echten Seegrases (Zostera marina). Versuche liefen aber auch mit 25 anderen Arten. In den meisten Fällen entschieden sich die Organisatoren, Seegras-Setzlinge anzupflanzen, anstatt Samen auszusähen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Aussaat von Samen am Anfang recht wenig Erfolg hatte.
Mittlerweile
gibt es vielerlei Studien, Best Practice-Beispiele und Arbeitsanleitungen für
die Wiederansiedlung von Seegraswiesen. Noch immer aber scheitern
Wiederanpflanzungsversuche, vor allem solche für das Echte Seegras (Zostera marina). Diese Misserfolge
deuten darauf hin, dass zumindest für diese Art noch keine wirklich effektive
Restaurationsmethode gefunden wurde und unser Wissen über ihre
Standort-Vorlieben unzureichend ist.
Diese Wissenslücken sollen nun im deutschen Verbundprojekt SeaStore geschlossen werden. Die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen mit ihrer Forschungsarbeit die Grundlage für eine robuste und wissenschaftlich fundierte Wiederansiedlung von Echtem Seegras (Zostera marina) in der südlichen Ostsee legen. Was genau geplant ist, erfahren Sie unter unseren Forschungsfragen.