Seegräser schaffen Lebensraum für Tausende Arten und tragen dazu bei, dass Millionen Menschen rund um den Globus ausreichend Fisch zu essen haben.
Seegräser werden als Ökosystem-Ingenieure bezeichnet. Denn im Idealfall bilden sie große Unterwasser-Wiesen und somit einen dreidimensional strukturierten Lebensraum, in dem Abertausende andere Tier- und Pflanzenarten des Meeres ausreichend Schutz und Nahrung finden. Studien zufolge bieten ein Hektar Seegraswiese Rückzugsorte und Nahrung für etwa 100.000 Fische und rund 125 Millionen wirbellose Tiere wie Ringelwürmer, Muscheln, Schnecken und Garnelen. Die Abermilliarden Bakterien, Archaeen, Kieselalgen und anderen mikroskopisch kleinen Mitglieder der Seegras-Gemeinde sind dabei noch gar nicht mitgezählt.
Zu den weltweit bekanntesten Bewohnern von
Seegraswiesen gehören neben Manatis und Meeresschildkröten auch Seepferdchen,
Haie und Rochen sowie mindestens sechs verschiedene Delfin- und
Schweinswalarten. Außerdem dienen die Flachwasser-Wiesen regelmäßig
verschiedenen Wasservögeln wie Wildenten und -gänsen als Weidegrund und
Jagdrevier.
Fischpopulationen im tieferen Wasser profitieren ebenfalls von den Seegraswiesen – zum Beispiel, indem ihre spätere Beute zwischen den Gräsern heranwächst. Oder aber indem die Grasteppiche im Flachwasser etwa 50 Prozent aller Krankheitserreger sowie Nährstoffe, Sedimente, Schadstoffe und Mikroplastik-Partikel aus dem Küstenmeer fischen, welche durch Flüsse oder aber durch das Oberflächenwasser eingetragen wurden. Das heißt, die Wiesen garantieren eine möglichst gleichbleibend hohe Wasserqualität.
Im Wasser enthaltene Schadstoffe wie zum Beispiel Schwermetalle nehmen Seegräser über ihre Wurzeln und Blätter auf und lagern diese vor allem im Wurzelwerk ein. Erfolgt eine solche Aufnahme und Einlagerung regelmäßig, reichern sich die Schadstoffe in den Seegräsern an – ein Prozess, der nicht nur schädlich für die Pflanzen selbst ist, sondern auch Auswirkungen auf die Gesundheit jener Tiere haben kann, die sie fressen.
Gegen verschiedene bakterielle Krankheitserreger und
marine Pilze haben Seegräser eigene Abwehrstoffe entwickelt. Diese bioaktiven
Wirkstoffe versetzen sie in die Lage, die Menge der im Wasser enthaltenen
Erreger zu halbieren. Mit dieser Eigenschaft schützen sie nicht nur die eigene
Gesundheit, sondern tragen auch zum Wohlergehen benachbarter
Lebensgemeinschaften bei. Die Krankheitsabwehrmechanismen der Seegräser helfen
zum Beispiel nachweislich Korallenriffen, die sich in unmittelbarer Nähe zu den
Unterwasser-Wiesen befinden.
Im Halmen-Dickicht der Seegraswiesen wächst der Nachwuchs vieler wichtiger Speisefischarten heran. Dazu zählen zum Beispiel die Jungfische des Pazifischen Herings, des Atlantischen Kabeljaus, der Streifenbarbe, der Dorade oder Goldbrasse sowie des stark befischten Alaska-Pollocks, der in Europa auch als Alaska-Seelachs verkauft wird. Andere Fischarten besuchen regelmäßig die Seegraswiesen, um hier nach Futter zu suchen – so etwa Kaninchenfische. Betrachtet man die 25 wichtigsten Speisefischarten der Welt, sind über ein Fünftel von ihnen mindestens einmal in ihrem Lebenszyklus auf die Existenz von Seegraswiesen angewiesen. Daher führt der Verlust von Seegras-Flächen oftmals innerhalb kurzer Zeit zu einem Rückgang der lokalen Fischereierträge.
Korallen, Muscheln, Krebstiere und andere Schalen- oder Kalkskelettträger sind in Seegraswiesen ebenfalls gut aufgehoben. Die Unterwasser-Wiesen beeinflussen nämlich durch ihre hohe Kohlendioxidaufnahme am Tage die Chemie des Wassers und reduzieren zumindest zeitweise das Ausmaß der klimabedingten Ozeanversauerung. Das bedeutet, Meeresorganismen mit Kalkschalen oder Kalkskeletten leiden weniger unter der Versauerung des Meeres und müssen weniger Energie aufbringen, um Säureschäden an ihren Schalen oder Skeletten zu reparieren. Gesunde Seegraswiesen können diesen vielen kalzifierenden Meeresbewohnern somit als Rückzugsort dienen und stärken ihre Widerstandskraft gegen die zunehmende Versauerung der Ozeane – ein unschätzbarer Beitrag zum Erhalt der marinen Artenvielfalt und ihrer vielen Leistungen für den Menschen.
Wie Landpflanzen bieten auch Seegräser einer unbestimmten Zahl an Mikroorganismen ein Zuhause. Dazu gehören in erster Linie Bakterien und Archaeen, aber auch Pilze, Mikroalgen und andere einzellige Lebewesen mit Zellkern. Schätzungen zufolge leben etwa eine Million Einzeller auf jedem Quadratzentimeter Blattfläche; im Wurzelbereich sind es pro Quadratzentimeter zwischen 100.000 und eine Million.
Aktuell versuchen Forschende ihre Artenvielfalt mithilfe von DNA-Sequenzierungen zu untersuchen. Herausgekommen ist dabei bislang, dass sich die Gemeinschaft der Mikroorganismen auf oder an den Seegräsern deutlich von jener in der Wassersäule oder aber im sonstigen Meeresboden unterscheidet. Die Seegraswiesen pflegen demzufolge ihre ganz eigene Einzeller-Gefolgschaft, die sich aus Generalisten und auf bestimmte Seegräser spezialisierte Arten zusammensetzt.
Ob diese Mikroorganismen überlebenswichtig für Seegräser sind und somit eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Wiederanpflanzung großer Wiesen darstellen, ist eine der wichtigen Forschungsfragen, welche das SeaStore-Projekt beantwortet soll. Zudem arbeiten die beteiligten Meeresbiologinnen und -biologen darauf hin, herauszufinden, woher Seegräser ihre Einzeller-Gefolgschaft beziehen und ob sich deren Zusammensetzung im Laufe der Zeit ändert.
Bisher weiß man, dass Seegräser durchaus eine Auswahl treffen, etwa in dem sie vermeintlich schädliche Mikroorganismen mit Abwehrstoffen bekämpfen, während sie nützliche Bakterien anlocken, beispielsweise durch die Freisetzung von Kohlenstoff und Nährstoffen wie Phosphor, Stickstoff und Schwefel.
Die
einzelligen Helfer unterstützen die Seegräser dann bei der Phosphor- und
Stickstoffbindung oder aber bei der Mineralisierung organischer Nährstoffe. Sie
schützen die Pflanzen zudem vor oxidativem Stress und Krankheitserregern,
entgiften bestimmte Nährstoffanteile oder aber produzieren sogenannte
Pflanzenhormone, welche das Wachstum der Seegräser, ihre Blüte sowie die
Bildung und Keimung ihrer Samen fördern.
Weitere ungeklärte Fragen gibt es auch in Hinblick auf die größeren Seegraswiesen-Bewohner: Wie lange etwa dauert es, bis Fische, Garnelen, Muscheln, Seevögel, Krebstiere und all die anderen Bewohner in neu angepflanzte Wiesen zurückkehren? Wäre die großflächige Renaturierung von Seegraswiesen ein wirksames Instrument, die Artenvielfalt des Meeres zu stärken? Und wie wirkt sich die Rückkehr der Bewohner auf die Gesundheit der Gräser aus? Brauchen Seegraswiesen viel tierischen Durchgangsverkehr, um zu gedeihen?
Aus Seegras-Restaurationsprojekten im US-Bundesstaat Virginia ist bekannt, dass die neu angepflanzten Wiesen bereits nach drei Jahren eine artenreiche Gemeinschaft von Zehnfußkrebsen, Schnecken und vielerlei Krebstieren beherbergten. Die Fische folgten wenig später. Für die Zostera-Seegraswiesen in der südlichen Ostsee wird der SeaStore-Verbund alsbald Antworten liefern.
Ausführliche Informationen zu den SeaStore-Forschungsarbeiten finden Sie auf der Projektseite
Wer
Seegraswiesen wiederherstellt, erweist nicht nur dem Meer, sondern auch der
Menschheit einen enormen Dienst.
Der Erfolg einer Restaurationsmaßnahme hängt
jedoch von einem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren ab.
Sie alle werden im
Rahmen des SeaStore-Verbundprojektes untersucht.