ForschungsfragenDer Forschungsplan des SeaStore-Verbundes

Im SeaStore-Verbundprojekt suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs Forschungsinstitutionen schlüssige Antworten auf die fünf wichtigsten Fragen der Seegras-Restauration.

WorkgroupsUnsere Forschungsfragen

1. Unter welchen Bedingungen wächst Seegras am besten?

Der Erfolg einer Seegras-Restauration hängt von einem komplexen Zusammenspiel abiotischer und biotischer Faktoren am Wiederansiedlungsstandort ab. In diesem Arbeitspaket legen die Forschenden die Grundlagen für Restaurationsprojekte in der südlichen Ostsee, indem sie zum Beispiel bathymetrische, hydrodynamische und mikrobielle Basisdaten angestammter Seegraswiesen erfassen und diese mit den Basisdaten potenzieller Wiederansiedlungsstandorte sowie bereits wiederhergestellter Wiesen in Skandinavien vergleichen. Alle dafür notwendigen Methoden und Arbeitsschritte werden in Protokollen erfasst, sodass auch für künftige Wiederansiedlungsprojekte eine optimale Datenerhebung, -auflösung und -auswertung gewährleistet werden kann.

Darüber hinaus entwickeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine sogenannte Anwuchshilfe und testen deren verschiedene Prototypen im 3D-Wellen-Strömungsbecken der Leibniz Universität Hannover unter Realbedingungen auf ihre Standfestigkeit, ihre Haltbarkeit und ihre Wirksamkeit. Diese künstliche Struktur aus biologisch abbaubarem Material soll künftig vor allem an Standorten mit vergleichsweise starken Wasserbewegungen eingesetzt werden – mit dem Ziel, dass sie die Keimung ausgesäter Samen oder aber das Wachstum neu gepflanzter Seegräser erleichtert, indem sie deren Verfrachtung oder aber Entwurzelung so lange verhindert, bis die Keimlinge oder jungen Pflanzen selbst starke Wurzeln ausgebildet haben.

Der erfolgreiche Einsatz einer solchen Anwuchshilfe könnte langfristig die Anzahl der für Restaurationsmaßnahmen erforderlichen Samen und Seegrastriebe pro Quadratmeter Fläche reduzieren und damit die Wiederanpflanzung von Seegräsern in einem größeren Maßstab ermöglichen als dies bisher denkbar war. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man die Anwuchshilfe künftig in großen Mengen und möglichst günstig herstellen kann.

Die Mikrobiologinnen und -biologen des SeaStore-Verbundes untersuchen mithilfe von DNA-Sequenzierungen nicht nur die Vielfalt und Rolle der Mikroorganismen in Seegraswiesen, sondern werden für künftige Wiederansiedlungsprojekte auch standardisierte Mikrobiom-Probenentnahmekits zusammenstellen. Diese werden detaillierte Anweisungen sowie alle Materialien enthalten, die für die Beprobung von Blatt-, Wurzel- und Sedimentmikrobiomen benötigt werden.

2. Welche Seegräser eignen sich am besten für Neuanpflanzungen?

Die Seegras-Sprösslinge für Wiederansiedlungsprojekte werden bislang aus gesunden Seegraswiesen entnommen. Doch nicht jede Seegras-Pflanze ist robust oder gesund genug, um als Spenderpflanze zu dienen. Aus diesem Grund spielt die Auswahl der zu verpflanzenden Seegräser eine entscheidende Rolle für das Gelingen einer Wiederansiedlungsmaßnahme.

In diesem Arbeitspaket untersuchen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum einen, welche Eigenschaften und Merkmale Seegräser besitzen müssen, die an einen neuen Standort verpflanzt werden sollen. Dazu zählen Parameter wie die Wurzellänge, die Pflanzenhöhe oder aber ihre Zugfestigkeit. Zum anderen erforschen sie, welche Strömungs-, Licht- und Bodenverhältnisse am neuen Standort herrschen müssen, damit die Setzlinge maximale Überlebenschancen haben.

Die entsprechenden Untersuchungen führen die Fachleute sowohl an zwei Versuchs-Restaurationsflächen in der Ostsee als auch im Twin-Flume-Wellenkanal der Leibniz Universität Hannover durch. Auf den zwei Versuchsflächen in der Nähe von Kiel und Maasholm wachsen insgesamt 12.000 neu gepflanzte Seegräser. Ein Teil von ihnen ist durchnummeriert, sodass die Wissenschaftler das Wachstum und den Gesundheitszustand der einzelnen Pflanzen überwachen und dokumentieren können. Licht- und Strömungssensoren erfassen derweil die wichtigsten Umweltparameter. Im ersten Projektjahr sammelten die Wissenschaftler zudem samentragende Seegras-Sprossen ein. Deren rund 14.000 Samen überwintern nun in einer Meerwasser-Aquarienanlage des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und sollen im Frühsommer 2022 auf einer weiteren Versuchsfläche in der Ostsee ausgesät werden.

Im 30 Meter langen Twin-Flume-Wellenkanal werden die Forschenden Belastungstests mit echten Seegraspflanzen durchführen. Auf diese Weise wollen sie herausfinden, bis zu welchem Punkt neu verpflanzte Seegräser zunehmenden Strömungsverhältnissen standhalten können und inwiefern individuelle Pflanzenmerkmale wie Halm- und Wurzellänge ihre Widerstandsfähigkeit beeinflussen. Dafür werden pro Versuchsdurchlauf mehrere, sich in verschieden Merkmalen unterscheidende Seegraspflanzen in ein Sedimentbett im Wellenkanal eingesetzt und genau dokumentiert, wie sie auf den Wellenschlag und die Wucht des Wassers reagieren.

3. Welche Wiederansiedlungsmethode verspricht die größten Erfolge?

Seegraswiesen sind in der Lage, den Trübungsgrad des Wassers und damit die eigenen Lebensbedingungen zu verbessern, indem sie das Herabsinken im Wasser schwebender Partikel befördern. Das heißt, wo Seegräser wachsen, setzen sie einen Rückkopplungsprozess in Gang, infolgedessen die lokalen Bedingungen für die Ansiedlung, das Wachstum und die Fortpflanzung von Seegräsern spürbar optimiert werden.

In diesem Arbeitspaket untersuchen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl auf Restaurationsversuchsflächen in der Ostsee als auch im3D-Wellenbecken sowie im Strömungskanal der Leibniz Universität Hannover, mithilfe welcher Wiederansiedlungsmethode sich diese natürliche Rückkopplung am ehesten erreichen lässt. Dabei geht es beispielsweise um die Fragen, wie dicht Seegras-Sprösslinge gepflanzt werden müssen, um den gewünschten Sedimentationseffekt herbeizuführen und welche Rolle die neu entwickelte SeaStore-Anwuchshilfe hierbei spielen könnte.

Außerdem werden die Forschenden auf Restaurationsflächen testen, ob sich die Gesundheit der Seegräser durch die Ansiedlung von Muscheln verbessern lässt. Muscheln filtern ebenfalls Schwebstoffe aus dem Wasser und reduzieren so dessen Trübungsgrad. Des Weiteren werden die Forschenden kartieren, wie weit der Einfluss einzelner Seegraswiesen reicht: Das heißt, in welchem Umkreis die Wiesen die Sedimentationsrate und damit die Wasserqualität und beeinflussen. Dieses neue Wissen soll anschließend in die Kosten-Nutzen-Analyse der Wiederansiedlungsmaßnahmen mit einfließen.

4. Wie schnell erfüllen neue Seegraswiesen ihre Ökosystemfunktionen?

Die im Rahmen von SeaStore angelegten Restaurationsflächen geben den Projektpartnern die Chance, im Detail zu untersuchen, wie schnell die restaurierten Wiesen ihre natürlichen Ökosystemleistungen für Mensch und Meer erfüllen.

Um einen Überblick über die Artenvielfalt in den neu gepflanzten Wiesen zu erhalten, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßige Kontroll-Tauchgänge und Probennahmen oder aber Fänge wirbelloser Tiere und Fische durchführen. Außerdem werden umfangreiche Untersuchungen zur Vielfalt der Mikroorganismen an den Gräsern sowie im Meeresboden durchgeführt. Auf diese Weise wollen die Forschenden herausfinden, wie schnell sich die Zusammensetzung beziehungsweise die Artenvielfalt der Seegras-Lebensgemeinschaft in den Restaurationsflächen erholt und die seegras-typischen Nahrungsnetze wiederaufgebaut werden. Eine wichtige Projektfrage lautet zum Beispiel, ab wann der Hering neu gepflanzte Seegraswiesen als Laichplatz und Kindergarten nutzt.

Geplant ist außerdem, die Populationsgröße und -dichte ausgewählter Schlüsselorganismen in natürlichen Seegraswiesen mit jenen auf wiederhergestellten Flächen sowie an nichtbewachsenen Standorten zu vergleichen. Zu diesen Schlüsselarten gehören neben einer Reihe ausgewählter Mikroorganismen zum Beispiel Aufsitzerpflanzen (Epiphyten), wirbellose Weidegänger wie Meeresschnecken, kleine Friedfische und Raubfische. Mithilfe dieser und anderer Untersuchungen wollen die Projektpartner herausfinden, wie eng die Nahrungsnetze im Umfeld von Seegraswiesen sind, über welche Pfade Kohlenstoff von einer zur nächsten trophischen Ebene weitergegeben wird und wie Biomasse im System Seegraswiese recycelt wird.

Hinzukommen verschiedene Vergleichsuntersuchungen zwischen Restaurationsflächen und angestammten Seegraswiesen in Bezug auf wichtige Ökosystemleistungen wie die Strömungsberuhigung, die Sedimentanreicherung (Küstenschutz) sowie die Kohlenstoffbindung und -einlagerung. Dazu werden die Forschenden unter anderem Sedimentkerne von bis zu einem Meter Länge ziehen und deren Kohlenstoffgehalt untersuchen. Bislang geht man davon aus, dass es 12 bis 18 Jahre dauert, bis eine neue Seegraswiese in der Lage ist, ihr volles Leistungspotenzial auszuschöpfen und die maximal mögliche Kohlenstoffmenge zu binden und im Meeresuntergrund einzulagern.

Zudem werden die SeaStore-Partner gemeinsam mit lokalen und regionalen Behörden in Schleswig-Holstein die restaurieren Seegraswiesen über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren regelmäßig kontrollieren. So sollen das Wachstum und die Ausbreitung der restaurierten Flächen sowie alle damit verbundenen Ökosystemleistungen auch über das Projektende hinaus begutachtet und Langzeitfolgen der Wiederansiedlung dokumentiert werden.

5. Welche sozio-ökonomischen Aspekte tragen zum Erfolg von Seegras-Wiederansiedlungsprojekten bei?

Die erfolgreiche Durchführung von Maßnahmen zur Wiederansiedlung von Seegras in größerem Maßstab erfordert nicht nur ein vertieftes Verständnis der naturwissenschaftlichen Aspekte, sondern auch des sozioökonomischen Umfelds.

Im Rahmen dieses Arbeitspaketes führen die Projektpartner zum einen eine detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse von Seegras-Restaurationsmaßnahmen durch, um Projektinitiatoren eine Argumentationshilfe an die Hand zu geben. Zum anderen untersuchen sie mit Hilfe einer deutschlandweiten repräsentativen Online-Befragungen, welche Werte die deutsche Öffentlichkeit mit Seegraswiesen verbindet und unter welchen Umständen die Küstenbevölkerung sowie Touristen und andere Interessengruppen bereit sind, Seegras-Wiederansiedlungsmaßnahmen aktiv zu unterstützen und damit verbundene Einschränkungen der Meeresnutzung zu akzeptieren.

Alle sozioökonomischen und naturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse werden in den SeaStore-Leitfaden zur erfolgreichen Umsetzung von Seegras-Restaurationsprojekten einfließen. Dieser soll Projektinitiatoren und Entscheidungsträger in die Lage versetzen, Seegras-Wiederansiedlungen in der südlichen Ostsee kostendeckend zu planen und erfolgreich umzusetzen. Deshalb wird er nicht nur auf Themenaspekte wie die Restaurationsziele und die Auswahl des bestmöglichen Wiederansiedlungsstandortes eingehen, sondern auch ausführliche Informationen liefern zu den möglichen Restaurationsmethoden, zum Monitoring der neu gepflanzten Flächen sowie zur Beteiligung der örtlichen Bevölkerung und anderer wichtiger Interessengruppen.